SPEED: Charles Jarrott über das erste Motorsport-Jahrzehnt

Um Ihnen die Zeit zu Hause während der Corona-Krise etwas angenehmer zu gestalten, haben wir Ihnen nachfolgend das zweite Kapitel des Buchs SPEED – Das einzige wahrhaft fortschrittliche Vergnügen von Mat Oxley frei zum lesen zur Verfügung gestellt.

Aktuell schreiben wir den Monat März im Jahr 2020. Eine Pandemie noch nie dagewesenen Ausmaßes grassiert auf der gesamten Welt und derzeit vor allem in den Metropolen Europas. Arbeitszeitgrenzen in Krankenhäusern werden außer Kraft gesetzt, Geschäfte und öffentliche Einrichtungen geschlossen, Grundrechte werden außer Kraft gesetzt. Was früher nur in Science-Fiction-Romanen zu lesen war ist plötzlich Realität.

Schon jetzt ist klar, es wird ein Leben nach dieser Krise geben und es ist ebenfalls klar, dass dieses Leben in einer anderen Welt stattfinden wird. Die Menschen in Ostdeutschland sind auf diese Situation vielleicht etwas besser vorbereitet: vor 30 Jahren haben sie – ob sie wollten oder nicht – alles was sie kannten hinter sich gelassen und den notwendigen radikalen Systemwechsel mit allen Risiken, allen Vor- und Nachteilen vollzogen. Ein solcher umfassender gesellschaftlicher Shift steht nun uns allen bevor. Diese Veränderungen können einerseits eine riesige Chance für die Menschheit sein, sie können uns aber auch genauso gut in eine autoritäre und faschistische Phase führen.

Vor 100 Jahren wurde die Welt von einem ähnlichen gesellschaftlichen Shift verändert. Nach der Erfindung des Telefons, der Glühbirne, des Kinofilms sowie des Verbrennungsmotors und damit des Motorrads und des Automobils brauchte es nur noch die gesellschaftliche Krise des Ersten Weltkriegs, um die alte monarchische Welt aufzubrechen und durch eine neue Welt zu ersetzen. Was für unsere heutige Gesellschaft die umfassende Digitalisierung durch das Smartphone ist, das war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Mobilisierung der Menschen durch das Motorrad…

SPEED – Das einzige wahrhaft fortschrittliche Vergnügen – Kapitel 2:

Dies ist ein Sport der Götter!

Charles Jarrott, Hobbyrennfahrer, 1906

Eine Reihe heftiger Schläge und kleiner Explosionen schallt vom Fluss Themse zurück und verjagt die Schwäne, die quer über das Wasser ausschwärmen, ihre Flügel ausbreiten und in die Lüfte über London aufsteigen, um diesem eigenartigen Donner zu entkommen.

Es ist der Nachmittag des 29. November 1897 und die Welt wird nie mehr die gleiche sein.

Dies war der Start des ersten Motorradrennens in Großbritannien (und wahrscheinlich auch der Welt). Schauplatz war das von gesunder Luft umgebene Land von Richmond (Surrey), wo eine Gruppe von Enthusiasten den ersten Jahrestag des Locomotives on Highways Act feierte. Dieses Parlamentsgesetz legalisierte die „angewandte selbststätige Fortbewegung“ auf britischen Straßen, indem es den Locomotive Act von 1865 ersetzte, welcher eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 4 Meilen pro Stunde (6,4 km/h) für die ersten dampfgetriebenen Fahrzeuge vorschrieb.

Das Gesetz von 1865 war äußerst unbeliebt bei den Anhängern dieser neuen „Dinger“ (wie sie die Polizei nannte), vor allem weil vor jedem Fahrzeug eine Person mit einer roten Flagge gehen musste. Einer der Verfechter des Verbrennungsmotors zeigte den Ordnungshütern seine Meinung, indem er seinen Sohn mit einem wenige Zentimeter langen roten Band an einem Bleistift vor seinem Auto laufen ließ. Einige Motorradfahrer beschwerten sich schon und sprachen von einem Verfolgungswahn der Polizei, die bereits mehrere von ihnen inhaftiert hatte, weil sie nicht wie vorgeschrieben einer roten Flagge folgten. Französische Motorradfahrer hatten dafür bald ein eigenes Wort: Motophobia.

Doch der neue Locomotives on Highways Act von 1896 war noch immer sehr streng – viel strenger als die Gesetze auf dem Kontinent. Die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit lag bei 12 Meilen pro Stunde (19,3 km/h). Rennen auf den öffentlichen Straßen von Richmond waren damit nicht möglich. Stattdessen hatten die Enthusiasten ihre Veranstaltung nach Sheen House verlegt, ein nahegelegenes Anwesen eines Adeligen, auf dem sich auch eine Viertel-Meilen-Radrennbahn mit Zementoberfläche befand.

Unter den Teilnehmern war Charles Jarrott, ein Motor-Verrückter aus London, der sein Leben damit verbrachte, seiner Leidenschaft für den Verbrennungsmotor zu frönen. Jarrott schildert seine zahlreichen Erlebnisse in seinem Buch 10 Years of Motors and Motor Racing, veröffentlicht zum zehnjährigen Jubiläum des Motorsports 1906.

„Nach dem Mittagessen in Sheen House wurde ein Motorradrennen im privaten Park arrangiert“, schrieb er über den kühlen Herbsttag 1897, als dem Rennen ein sechsgängiges Menü mit reichlich Wein voranging. „Ich nahm teil und gewann das Motorradrennen… Es ist schon amüsant jetzt zurückzuschauen und sich an die Aufregung der Zuschauer während der Rennen zu erinnern, die noch nie etwas mit einer so hohen Geschwindigkeit – wir erreichten damals um die 45 km/h – gesehen hatten.“

Jarrott verbrachte die nächsten zehn Jahre damit, sich auf Motorrädern und in Autos einen Weg durch Großbritannien und Europa zu bahnen, berauscht von den Klängen, dem Anblick und den Gerüchen dieses neuen Lebens. Und als der Rennsport in Europa und anderswo schneller wurde, wurde Jarrott bei den Straßenrennen auf dem Kontinent noch tiefer in den Bann gezogen.

„Die lange, sich windende Straße erstreckt sich vor dir, sie reicht von der Hauptstadt eines großen Landes zur Metropole eines anderen“, schrieb er in Erinnerung an die Stadt-zu-Stadt-Straßenrennen im ersten Jahrzehnt des zwanzigsten Jahrhunderts. „Hunderte Meilen gerader Straßen, schmaler Straßen, rechtwinkliger Kurven, heimtückischer Kurven, vielleicht Passstraßen, unebene Fahrbahnoberflächen und gefährliche Hindernisse, alles eingehüllt in einer dichten Staubwolke der vorausfahrenden Fahrzeuge, die du überholen möchtest. Und nun können wir sehen und würdigen wie gut du bist und welches Können du hast. Das Unbekannte zeigt sich auf jedem Meter und dein Leben hängt von der Güte deiner Entscheidungen ab. Kannst du mit den immer wiederkehrenden Problemen besser umgehen als der Fahrer unmittelbar vor dir oder der Fahrer unmittelbar hinter dir? Wenn nicht, holt er auf und du verlierst. Du fällst weiter zurück und wirst von hinten überholt und noch während du mental und körperlich mit all den Schwierigkeiten kämpfst, berührt die damit verbundene Erregung deine Seele und du stellst fest, dies ist ein Sport der Götter. Die glorreiche Ungewissheit von allem, gekrönt vom berauschenden Hochgefühl der Geschwindigkeit.“

Wie die meisten Mitglieder der neuen Brüderschaft der Motorradrennfahrer (es waren fast ausschließlich Männer), hatte Jarrott an Radrennen teilgenommen, bevor der Verbrennungsmotor aufkam und den Nervenkitzel vervielfachte. Das Fahrrad war der Vater des Motorrades. Es war außerdem das erste Fortbewegungsmittel des massenhaften, mechanisierten Individualverkehrs, ein kulturelles Phänomen, das in den 1880er Jahren über Europa und die USA hinwegfegte.

Der Vater des Fahrrades war die Draisine, erfunden vom Deutschen Karl Drais im Jahr 1817, nach dem „Jahr ohne Sommer“. Dieses verheerende Ereignis wurde durch den Ausbruch des 10.000 Kilometer entfernten indonesischen Vulkans Tambora verursacht. Die Asche verbreitete sich bis nach Europa, reduzierte die Temperaturen um mehrere Grad und führte so zu Ernteausfällen, welche wiederum zum Tod vieler Nutztiere, u.a. Pferde, führten. Daher Drais´ Idee eines mit Muskelkraft angetriebenen Pferdes.

Zu dem ehemaligen Radrennfahrer Jarrott gesellten sich im neuen Geschwindigkeitszeitalter andere, die ihre Fähigkeiten auf Radrennbahnen erlernten, als sie dort Schrittmacher-Motorräder fuhren, welche den Radfahrern mittels Windschatten zu immer höheren Geschwindigkeiten verhalfen.

Zwangsläufig dauerte es nicht lange, bis die Fahrer dieser Maschinen, die von riesigen Motoren mit zwei Litern Hubraum und mehr angetrieben wurden, eigene Rennen im Rahmenprogramm oder zwischen den Radsport-Veranstaltungen fuhren. Die Radrennbahnen wurden dann auch von den Fahrern alltäglicher motorisierter Fahrräder genutzt, denn das waren sie nun einmal – Fahrräder, angetrieben von zusätzlich angebrachten Hilfsmotoren.

Diese überhöhten Ovale waren perfekt, da sie es dem Fahrer erlaubten weiter Vollgas zu geben (alles andere wäre ein Balanceakt gewesen, denn der Gasgriff musste erst noch erfunden werden) und Durchschnittsgeschwindigkeiten von etwa 50 km/h zu erreichen. Pferderennbahnen, Leichtathletikbahnen und eine Bahn in Olympia Halle in London wurden ebenfalls für den neuen Trend genutzt.

Die beiden favorisierten Radrennbahnen der ersten britischen Motorradrennfahrer waren Celtic Park in Glasgow und Canning Town im Osten Londons, wo Charlie Collier 1906 mit 100 km/h den britischen Rundenrekord aufstellte.

„Dies stellt einen unschlagbaren Rekord dar“, schrieb Collier. „Denn er zeigt das absolute Limit der Reifenhaftung auf diesen unzureichenden Steilkurven, die ursprünglich für Radrennen konstruiert waren. Es war sicherlich die verwegenste Heldentat, die ich je vollbracht habe.“ Und das aus dem Munde des Mannes, der die Einzylinder-Klasse bei der ersten Tourist Trophy auf der Isle of Man im darauffolgenden Sommer gewann.

Collier war wahrscheinlich der erste Held des Motorradsports in Großbritannien. 1899 gründete er mit Bruder Harry und Vater Henry die Marke Matchless. Die Firma wurde in Plumstead, im Südosten Londons, gegründet und ging aus der dampfbetriebenen Wäscherei, dem Familienbetrieb Collier and Sons, hervor.

Schon bald forderten die britischen Radrennbahnen ihre ersten Opfer unter den Motorradfahrern. „Ich hatte einen leichten Sturz in Canning Town“, erzählte Joseph van Hooydonk, ein weiterer von der neuen Geschwindigkeit verzauberter ehemaliger Radrennfahrer, der Zeitschrift The Motor Cycle. „Maschine geriet außer Kontrolle und ich fiel auf die Zementbahn. Hatte keinen Kratzer, nur meine Kleidung riss in Fetzen.“ An Helme oder eine Lederkombi war in diesen Tagen noch nicht zu denken.

Bei seinem ersten Abenteuer im Ausland, einem Straßenrennen in den Ardennenwäldern Belgiens nahe der späteren Spa-Franchorchamps-Rennstrecke, erging es van Hooydonk schlimmer. „Ein streunendes Rind kam meines Weges. Ich traf das Rind mit meinem Kopf und brach eines seiner Beine. Als ich aufwachte war das Rennen fast vorbei. Aber ich habe auch jetzt keine Angst, denn die Geschwindigkeit hat noch immer ihre Faszination. Es gibt nur einen Gedanken: Ich möchte noch schneller werden.“

Zwei Jahre nachdem in Richmond Rennsportgeschichte geschrieben wurde, wurden die jährlichen Rennen zur Feier des Light Locomotives Act auf die Radrennbahn von Crystal Palace im Süden Londons verlegt. Jarrott war wieder mittendrin, diesmal auf dem neuesten Stand der Technik: einem pedalunterstützten De Dion Bouton Renn-Dreirad, gebaut am Ufer der Seine in Paris. Dieser neumodische Apparat vom wohlhabenden Marquis und Finanzier Jules-Albert De Dion, war ein technischer Meilenstein. Wenn die Honda RC213V von Marc Marquez das dominierende Rennmotorrad des zweiten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist, dann war die De Dion Bouton die RC213V der letzten Dekade des 19. Jahrhunderts. Ihre Bewunderer nannten sie das fliegende Dreirad.

Im Mai 1899 zog Jarrott in Crystal Palace an die Startlinie neben seine beiden einzigen Rivalen: sein guter Freund Selwyn Edge auf einer weiteren De Dion Bouton und C.F. Wridgeway auf einem Dreirad eines anderen Herstellers.

„Als der Startschuss aus der Pistole abgefeuert wurde, strampelte ich sofort so schnell ich konnte los, um die Führung zu übernehmen, was mir gelang. Wir schwangen um die Steilkurven und in der ersten Kurve übernahm ich die Spitzenposition. Wridgeway war direkt hinter mir. Es folgte ein Rennen mit einem heftigen Schlagabtausch. Wieder und wieder kam Wridgeway auf den Geraden auf der einen oder anderen Seite neben mich gefahren, um mich zu überholen und wieder und wieder war ich in der Lage meine Führung, an der ich eisern festhielt, zu verteidigen. Die Geschwindigkeit war furchterregend und die riesige Zuschauermenge äußerte ihre Begeisterung mit ungeheurem Jubel.“

„Als wir Rad an Rad um die Bahn flogen, war es unmöglich vorherzusagen, wer das Rennen gewinnen würde. Dann schlug die Glocke für die letzte Runde und Wridgeway setzte zu einem verzweifelten letzten Überholversuch an, aber meine De Dion war unbesiegbar und ich durchfuhr das Zielband als Sieger mit einer Radlänge in einem der spannendsten Rennen, an denen ich jemals teilnahm.“

Crystal Palace war Jarrotts Testlauf für das größte Rennen des Jahres 1899: ein 565 Kilometer langer Ritt von Paris nach Bordeaux. Frankreich begrüßte das Motorzeitalter wie keine andere Nation. Dem Paris-Marseille-Paris Rennen im September 1896, nur wenige Monate vor Jarrotts Geschwindigkeitsorgie in Richmond, folgte Paris-Rouen und Paris-Bordeaux-Paris in den beiden vorangegangenen Jahren. Diese Veranstaltungen waren die ersten Rennen der Welt mit motorgetriebenen Fahrzeugen – Automobile, Motorräder und Dreiräder – alle wurden zusammen in einer Kategorie gewertet. Ein De Dion Bouton Dreirad gewann das Paris-Marseille-Paris Rennen und schlug alle Motorräder und Wagen mit einer Geschwindigkeit von 23,3 km/h. Zwei Jahre später gewann eine De Dion das Rennen von Paris nach Berlin und absolvierte die 1198 Kilometer mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit von 62,7 km/h.

De Dion sagte Jarrott warum er glaubte, dass das Dreirad die Lösung ist und nicht das Motorrad. „Er teilte mir mit, dass sie das Motorrad in den Händen eines Normalbürgers für zu unsicher erachteten und ein Dreirad konnte mit wesentlich geringerem Risiko und weniger Kraftanstrengung gefahren werden.“

Da hatte der Graf Recht. Die frühen Motoren hatten eine Glührohrzündung – ein Platinrohr, welches aus der Brennkammer herausragte. Diese wurden von einem Spiritusbrenner mit offener Flamme zum Glühen gebracht. Benzin und Luft wurden von einem einfachen Apparat, einem Oberflächenverdampfer, zugeführt. Das war der erste Vergaser für einen Verbrennungsmotor. Dieser führte Luft über eine kleine Menge Benzin. Der hochentzündliche Dampf, oder besser gesagt das meiste davon, wurde dann in den Brennraum gesaugt.

Die Gefahr, dass eine solche Maschine kurz blockiert und so einen Sturz verursacht, war offensichtlich und die Chancen herunterzufallen waren reichlich. „Die Straßen waren zerfurcht, mit Schlaglöchern versehen, uneben und schmierig“, hielt L.J.K. Setright in A History of the World´s Motorcycles fest. „Sie waren mit Kieselsteinen übersät, mit Hufeisennägeln und mit allen möglichen Arten von Kot verschiedener Tiere.“ Und dann waren da noch die Hunde, die – so schien es – sich vereinigt hatten, um diese neumodischen Apparate loszuwerden.

Selbst die besseren, mit Pflastersteinen oder Holz überzogenen Straßen boten dem Motorradfahrer eine schreckliche Grundlage, so dass ein Motorrad, welches nicht umfallen konnte, Sinn ergab.

De Dion war ein schnittiger, exzentrischer Aristokrat, der eine Vorliebe dafür hatte sich zu duellieren und unter seiner Melone und seinem buschigen Bart immer modisch angezogen war. Er war auch ein Vorreiter des französischen Motorenbaus und das zu einer Zeit, als Frankreich im Bau von Verbrennungsmotoren die Weltspitze darstellte. In den 1880er Jahren hatte er Ingenieure wie Georges Bouton und Charles Trepardoux finanziert, die Dreiräder oder andere mit Kohledampf betriebene Fahrzeuge herstellten.

Aber Frankreich hatte ein Problem mit dem Dampfantrieb. Anders als Großbritannien und Deutschland, deren erfolgreiche Wirtschaft auf dem schwarzen Gold fußte, hatte Frankreich nur sehr kleine Kohlereserven. Deshalb wusste De Dion welchen Weg er einschlagen musste, als vom ersten brauchbaren Benzinmotor des Deutschen Nikolaus Otto hörte.

Während Trepardoux seinen eigenen Weg ging und dem Dampfantrieb treu blieb, stellte Bouton sein Können mit einer Vielzahl von Neuerungen für De Dion unter Beweis, darunter ein leichter, drehfreudiger Motor, der die Drehzahlwerte der Konkurrenz deutlich übertraf.

Bouton schuftete zwei lange Jahre auf dem Prüfstand von De Dion, aber die Zeit war gut investiert. Indem er die Motorenteile nachbearbeitete, den Kolben leichter machte und die internen Kräfte des Motors ausbalancierte, tat er das, was viele für unmöglich hielten: er schuf den ersten schnelllaufenden Verbrennungsmotor der Welt und erhöhte die Drehzahl von 400 U/min auf fast 2.500 U/min.

1895 entfernte Bouton die Glührohrzündung und erfand das erste brauchbare elektrische Zündsystem mittels kompakter Spule, Batterie und Unterbrecher. Bis 1902 hatte er noch ein Zweiganggetriebe mit Kupplung entwickelt. Im gleichen Jahr knatterte eines seiner Dreiräder mit 115 km/h um eine Radrennbahn. Das war der Zeitpunkt, an dem es mit dem Verbrennungsmotor ernst wurde.

Das Dreirad war logisch und fachmännisch konstruiert, so dass es selbst heute kaum alt aussieht, wohingegen die meisten seiner Zeitgenossen geradezu mittelalterlich aussehen. Der Motor war hinter der Achse des Pedal-Rades angebracht und trieb die 26-Zoll-Räder durch eine offene Kegelverzahnung an. Die Räder hatten stets einen großen Durchmesser – sie mussten so ausgelegt sein, um die unebenen Straßen zu bewältigen. Unter den cleveren Konstruktionsmerkmalen der De Dion war ein großer Oberflächenvergaser über dem Auspuff, um den Treibstoff vorzuwärmen und ihn so leichter zu verdampfen. Es gibt eine Vielzahl von Geschichten über Fahrer, die tollkühne Methoden ausprobierten, um den Treibstoff vor dem Starten des Motors anzuwärmen.

Die maximale Leistung aus einer De Dion herauszuholen war nichts für Ungeschickte. Der Fahrer musste mit dem Luft/Benzin-Hebel und dem Gashebel jonglieren und außerdem die Hebel zur Zündverstellung für Beschleunigung und Verzögerung betätigen, sobald er (und es war meistens ein er) einmal in Fahrt war. Somit agierte der Fahrer als Vergaser und Zündsystem. Der Motor wurde mit etwas Glück gestartet, indem man wie wild in die Pedale trat und dann den Dekompressionshebel/Auslassventil-Stößel auf dem Oberrohr losließ. Ein kurzes Husten, ein paar Knalle und los ging es mit dem Ziel, ein Abenteuer zu erleben und nur Gott wusste was sonst noch alles.

Boutons Erfindergeist half Frankreich dabei, die noch junge Motorradindustrie zu beherrschen. Eine Vielzahl anderer französischer Werkstätten entwickelte ähnlich beeindruckende Maschinen. 1902 etablierten die in Paris ansässigen Werner-Brüder ein für alle Mal die neue Idee, den Motor in den Rahmen einzubauen, anstatt ihn nur nachträglich anzufügen. Der 262ccm Werner-Motor besaß einen Spritzvergaser (der erste moderne Vergaser, welcher den potenziell lebensgefährlichen Oberflächenverdampfer ersetzte), Motorschmierung mittels Handpumpe und eine pedalgesteuerte Hinterradbremse. Das war der Moment, in dem das Fahrrad mit Hilfsmotor zum Motorrad wurde.

Zwei Jahre später produzierten die Buchet-Werke nahe Paris ein Dreirad, das von einem riesigen 4.245ccm Zweizylinder-Reihenmotor angetrieben wurde und den Spitznamen La Bête de Vitesse (das Biest der Geschwindigkeit) bekam. 1907 wussten die Norton-Verantwortlichen genau was sie taten, als sie einen Peugeot-Motor verwendeten, um die Zweizylinderklasse bei der ersten Isle of Man TT zu gewinnen. Und zwei Jahre später nutzte Louis Bleriot einen Dreizylinder Anzani-Motor für den ersten Motorflug über den Ärmelkanal. Der Pariser Motorradrennfahrer Alessandro Anzani leitete seinen Flugzeugmotor von einem Dreizylinder-Motorradmotor in W-Anordnung ab, den er 1906 entwickelt hatte.

Kein Wunder, dass auch die ersten Motorrad-Weltmeister aus Frankreich kamen: französische Fahrer auf französischen Motorrädern auf französischen Rennstrecken. Allgemein gilt, dass die Motorrad-Weltmeisterschaft 1949 mit der ersten weltweit anerkannt Grand Prix Rennserie begann, aber tatsächlich wurde die erste „Motorrad Straßen-Weltmeisterschaft der Welt“ 1903 während einer Radsportveranstaltung im Parc des Princes ausgetragen, heute Heimat des Pariser Saint-Germain-Fußballclubs.

Die Idee des Veranstalters sollte jedoch weniger einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Motorrads leisten, sondern eher die Radsportveranstaltung bereichern und so zog er den Zorn von The Motor Cycle auf sich, der ersten britischen Zeitschrift, die sich ausschließlich den motorgetriebenen Zweirädern widmete. „Diese Rennen wurden ausschließlich zur Unterhaltung des Publikums organisiert“, ärgerte sie sich.

Und es war tatsächlich eine Sensation. Maurice Fournier gewann das Rennen mit über 104 km/h auf einer mächtigen 1.500 ccm V4-Maschine, gebaut von der in der Nähe ansässigen Firma Clément Cycles. Im darauffolgenden Jahr war Fournier nicht in der Lage die Krone zu verteidigen – er war von der Armee eingezogen worden – also wurde seine Maschine an Marius Thé weitergegeben, einem Mann aus Marseille mit „einem sehr kraftvollen Erscheinungsbild und einer starken Vorliebe für Zigaretten“, der die Veranstaltung dominierte und alle seine Konkurrenten überrundete.

The Motor Cycle berichtete von Thés Sieg mit Ehrfurcht. „Umgehend ertönt der Schuss aus der Pistole, Marius Thé legt mit enormem Tempo los und nimmt die Kurven mit einer Geschwindigkeit, welche die Zuschauer ordentlich zum Schaudern brachte.“

Frankreichs Motorradindustrie wurde während des Ersten Weltkriegs vollständig in den Dienst des Militärs gestellt, wovon sie sich nie wieder ganz erholen sollte. Aber die Grande Nation hatte mit ihrer Sprache einen dauerhaften Eindruck in der Branche hinterlassen. Worte wie Garage, Chauffeur und das englische Wort Motorcycle für Motorrad stammen alle aus dem Französischen.

Natürlich hat Ottos Schöpfung ihre Wurzeln tief im neunzehnten Jahrhundert. Der entsetzliche Krawall seines Motors wurde nur durch die Explosionseigenschaften von Benzindampf ermöglicht, gepresste, viele Millionen Jahre alte Überreste toter Farnkräuter und Triceratops. Öl wurde erstmals um 3.000 v. Chr. in Mesopotamien verwendet, wo lodernde Ölausbisse (Teerkuhlen) die Grundlage für den Feuerkult legten. Später nutzten die Griechen oleum incendiarum (Griechisches Feuer) für militärische Zwecke. Das Wort Petroleum kommt ebenfalls aus dem antiken Griechenland und bedeutet Erdöl (petra für Erde und olium für Öl). Es wurde erstmals durch Araber destilliert, die es für Beleuchtung und medizinische Anwendungen verwendeten.

Erdöl lieferte eine wesentlich bessere Energieausbeute als Kohle und damit auch mehr Pferdestärken. Frühe Verbrennungsmotoren konnten mit 0,25 Liter Benzin für anderthalb Stunden ein PS leisten. Das war fast zweitausendmal mehr als die erste Dampfmaschine von James Watt aus dem späten achtzehnten Jahrhundert.

Das soll die Leistung Watts jedoch nicht schmälern. Es war der Beginn des Maschinenzeitalters und es befreite die Menschheit von der Abhängigkeit von anderen Lebewesen: Pferde, Ochsen und Esel.

Zurück ins Jahr 1899, als Jarrott und Edge ihre De Dion Dreiräder für das Paris-Bordeaux Rennen in der Pariser Werkstatt des Grafen vorbereiteten, bevor sie ihren Platz an der Startlinie am Ufer der Seine einnahmen.

„Die Anweisungen an uns vor dem Start waren, soweit ich sie verstanden habe, äußerst kurz“, schrieb Jarrott. „Ein Funktionär mit einer roten Flagge richtete sich an das gesamte, in Viererreihe aufgestellte Fahrerfeld und sagte in etwa das Folgende: ‚Meine Herren, das ist Paris. Dort ist Bordeaux (er zeigte auf den Horizont der Straße). Sie haben nur eine Aufgabe: Dort ankommen! Sind Sie bereit? Los!‘“

Es gab sofort ein Chaos. Jarrott gelang es das Durcheinander zu umgehen. Einige Maschinen sprangen nicht an, andere kamen von der Straße ab, da die Fahrer „mit ihren Armaturen und Hebeln befasst waren, statt mit dem Lenken.“

„Was für ein Rennen“, fährt er fort. „Zu dieser Zeit gab es keine Einschränkungen in Bezug auf die Geschwindigkeit in Städten und Dörfern. Alle eilten mit nur einem Gedanken die Straße entlang, entsprechend der Aufforderung des Starters: in Bordeaux ankommen.“

Aber es sollte nicht sein. Obwohl er die Kunst des Windschattenfahrens entdeckte, als er schnelleren Autos folgte und Poitiers, 320 Kilometer von Paris entfernt, als Dritter erreichte, kam Jarrott nie in Bordeaux an. Ein Platzregen legte die Zündung lahm, dann verlor er noch mehr Zeit, als Edges Dreirad den Dienst versagte und mehrere Kilometer bis in das nächste Dorf geschoben werden musste. Anschließend riss die Kette bei Edge und er verbog sich an einem Bordstein ein Rad. Am Ende fuhr Jarrott „in einen großen Feldstein, der von irgendeinem Übeltäter auf der Straße platziert wurde.“

Das Rennen gewann (natürlich) ein Franzose: Pierre Bardin auf einem De Dion Dreirad, eingesetzt vom Grafen höchstpersönlich. „Ich fand, dass Bardin seinen Sieg auf sehr raffinierte Weise erreichte“, schrieb Jarrott. „Der Grund für den Ausfall unserer Dreiräder war der Regen, der das Hochspannungskabel zwischen Akkumulator und Zündkerze durchnässte und einen Kurzschluss in der Elektronik auslöste. Der erfahrene Bardin wusste, dass das passieren würde und schob seine Maschine, sobald es anfing zu regnen, in den nächsten Schuppen. Dort wartete er bis der Regen nachließ und machte sich dann wieder auf den Weg.“

Der Feldstein, der Jarrotts Weg nach Bordeaux beendete, war eine aufschreckende Erinnerung daran, dass nicht jedermann vom explosiven Anmut des Verbrennungsmotors eingenommen war. So wie die Maschinenstürmer im frühen neunzehnten Jahrhundert neumodische Webmaschinen – die Auslöser ihrer Arbeitslosigkeit – zerstörten, so wollten die Traditionalisten im späten neunzehnten Jahrhundert die lautstarke Welle des Fortschritts aufhalten. Sabotage war bei den ersten Rennsportveranstaltungen deshalb nichts Ungewöhnliches.

Feldsteine waren nur eine Möglichkeit, um rasante Motorräder aufzuhalten, Nägel waren eine weitere. Der Unmut, der den Fahrern entgegengebracht wurde, als diese durch verschlafene Dörfer brausten war leicht nachvollziehbar. Manche warnten die Bewohner mit Fehlzündungen vor. Sie zogen Staubwolken hinter sich her und hin und wieder wurde ein Haustier überfahren, so wie es die unerhörten Aristokraten des Four Horse Clubs etwa ein Jahrhundert zuvor taten.

Jarrott stellte fest, dass er sich bei Eigentümern plattgefahrener Hühner üblicherweise freikaufen konnte. „Es wurde ein Preis für den Vogel ausgemacht, du hast das Geld auf den Tisch gelegt, der Besitzer konnte den Kadaver behalten und du hast dich wieder auf den Weg gemacht – man war nicht glücklich, aber wenigstens überzeugt das richtige gemacht zu haben.“

Natürlich stellten sich die Motorräder schon bald nicht nur als laut, dreckig und gefährlich für Tiere heraus. Der britische Motorradrennsport verzeichnete seine ersten Opfer wahrscheinlich während einer Veranstaltung auf der Radrennbahn von Bristol im Mai 1903. Zwei Fahrer wurden beim Kampf um die Führung aus der Kurve getragen und stürzten in die Zuschauer, wobei zwei Jungen getötet und zahlreiche weitere Zuschauer schwer verletzt wurden.

Schon wenige Wochen später sollte bei dem bis dahin größten Rennen der Welt von Paris nach Madrid Schlimmeres folgen. Ganz Paris war gespannt. Das Rennen startete am ehemaligen Königspalast in Versailles, wo sich die abendliche Kulisse wie folgt zeigte. „Ein breiter Strom an Menschen, eindrucksvoll und lebendig bis in die Haarspitzen. Die Stadt war wach und lebhaft wie zur Mittagszeit… Dutzende Motorräder, deren Anfahrt sich durch schnelle, charakteristische Explosionen ankündigte… hin und wieder nahm ein Fahrer frühzeitig seine Startposition ein, während sein Mechaniker eine schwache Öllampe in die Höhe hält.“

Die Morgendämmerung kündigte sich um 4 Uhr bereits am Horizont an, wo sie von einer geschätzten Zuschauermenge von drei Millionen Menschen entlang der kilometerlangen schmalen, staubigen Straßen erwartet wurde. Mehr als sechzig Motorräder und Dreiräder starteten, nachdem die Automobile bereits unterwegs waren. Die Organisatoren hatten zunächst die „mörderische Absicht“ alle zusammen starten zu lassen, aber die verheerenden Erfahrungen von Männern wie Jarrott, die den schnelleren, besser gefederten Automobilen in vorangegangenen Rennen gerade noch ausweichen konnten, führten zu einem Sinneswandel.

Und das war auch gut so. „Lange Alleen, mit Bäumen gespickt, ein nicht enden wollendes weißes Straßenband, welches sich bis zum Horizont zieht; der Besitz eines Geschosses, ausgerichtet auf den Punkt, an dem sich Erde und Himmel treffen; flüchtige Schimmer von Städten und dichten Menschenmassen – verrückte Menschen, wahnsinnig und rücksichtslos, sich den Kugeln in den Weg stellend, um umgepflügt und aufgeschlitzt und bis zur Auslöschung verkrüppelt zu werden, dem Unvermeidlichen im letzten Moment gerade noch in aller Eile entgehend; überwältigende Befreiung, als jede Menschenmenge passiert wurde, jede Katastrophe ausblieb; und vor allem, dieses furchterregende Gefühl verfolgt zu werden.“

Das Paris-Madrid Motorradrennen entwickelte sich zu einem Duell zwischen dem Franzosen Auguste Bucquet und dem Belgier Leon Demester, beide abwechselnd in der Rolle des Jägers und des Gejagten. Die wenigen britischen Fahrer bekamen schon früh Probleme, denn sie waren noch nie so weit südlich und so schnell unterwegs. Der Sonderkorrespondent von The Motor Cycle traf „nach einer heißen und staubigen Reise, wobei die spürbar größere Hitze der Sonnenstrahlen ein deutliches Anzeichen dafür war, dass wir uns 550 Kilometer näher am Äquator befanden als beim Start am frühen Morgen,“ in Bordeaux ein. Tatsächlich war kein Mensch zuvor aus eigener Kraft so weit und so schnell gereist.

Das wunderschöne Wetter war nicht das Einzige was die Fahrer in Bordeaux erwartete. Entlang des Weges wurde ihnen von Staubwolken die Sicht genommen, während einige Zuschauer von den dichten Menschenmassen auf die Straße gedrängt wurden. Das Ergebnis war unvermeidbar: ein Gemetzel mit mindestens vierzehn Toten, darunter Fahrer, Zuschauer und Unbeteiligte. Der schlimmste Unfall ereignete sich in Angoulême, 130 Kilometer vor Bordeaux, wo ein Kind auf die Straße lief. Ein Automobil überfuhr das Kind und einen Polizisten, der das Kind retten wollte, sowie zwei weitere Zuschauer. Eine französische Zeitung stellte fest, dass diese Menschen „auf dem Altar des Fortschritts“ geopfert wurden.

Der französische Innenminister ordnete den Abbruch des Rennens an, beschlagnahmte die Motorräder und Automobile in Bordeaux, ließ sie mit Pferden zum Bahnhof ziehen und mit dem Zug nach Paris zurückschicken. Zwischenzeitlich hatte die spanische Regierung die Weiterführung des Rennens auf ihren Straßen verboten.

„Die Straßenrennen waren tot“, schrieb Jarrott. „Nie wieder wird es möglich sein, einen Geschwindigkeitswettbewerb auf offenen Straßen auszutragen. Der Rennsport war erledigt. Das Besondere war dabei, dass die Außenwelt bisher keine Gefahr im Motorsport sah. Ein oder zwei Fahrer waren verletzt worden, aber Unfälle waren sehr selten. Und dann plötzlich, wie so oft im Leben, wurde die gesamte Rechnung bei einer Veranstaltung beglichen. Es war so heftig, dass die gesamte Welt mit einem Schauer und einem Atemzug feststellen musste, dass Motorsport wirklich tödlich sein kann.“

Das Magazin The Spectator stimmte zu, aber im Gegensatz zu Jarrott hielten sie das Ende der Straßenrennen für eine gute Sache. „Diese spezielle Form des Missbrauchs unserer Straßen wird, so glauben wir, gänzlich aufhören. Die Hersteller und Käufer von Motorfahrzeugen werden ihre Aufmerksamkeit dem Nutzwert, statt der Übertreibung, Zwecklosigkeit und dem Luxus zuwenden, so wie es bisher der Fall war. Das wird der Wandel sein und er wird von allen vernünftigen und weitsichtigen Männern willkommen geheißen werden.“

Aus Paris-Madrid wurde so Paris-Bordeaux. Und es gibt keinen Zweifel daran, dass man sich im britischen Unter- und Oberhaus gegenseitig herzlich dafür auf die Schulter klopfte, dass man die Ausschweifungen dieser schrecklichen, stinkenden Maschinen auf britischen Straßen nicht gestattete.

Sieger des verkürzten Motorradrennens war Bucquet auf seiner 3,5 PS Werner, acht Minuten vor Demester auf einer weiteren französischen Maschine, gebaut von der berühmten Pariser Fahrradmanufaktur Griffon. Bucquet hatte Versailles um 6:20 Uhr verlassen und erreichte Bordeaux um 18:11 Uhr mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 61,3 km/h, Pausen inklusive.

Keine der britischen Maschinen, die das Paris-Madrid Rennen in Angriff nahmen, kamen in Bordeaux an. Humber Motorcycles aus Coventry hatte sich wahrscheinlich die Urversion aller Ausreden für technisch bedingte Ausfälle ausgedacht: sie gaben an, dass ihre Maschine mit defektem Kolbenboden ausschied, was sie kunstvoll auf überambitionierte Gewichtsreduktion zurückführten, um in der 50-Kilogramm-Klasse starten zu können.

„Ein Großteil der Gewichtseinsparungen musste vorgenommen werden, um die Maschine unter 50 Kilogramm zu bekommen“, schrieb der Generaldirektor des Betriebs. „Leider gingen wir bei der Reduzierung des Gewichts am Kolben etwas zu weit.“ Aha, klar.

Vielleicht hätte Humber einfach etwas schummeln sollen, so wie alle anderen. „Wir waren interessiert und, zugegeben, ein wenig empört, als wir während des Wiegens der Motorräder den Einfallsreichtum bei der Gewichtsreduzierung beobachteten“, knurrte The Motor Cycle. „Es wurden Motorräder gewogen, bei denen die Hälfte der Schrauben fehlten, keine Kette, keine Pedalen, oft fehlende Kurbel, Ritzel oder Kettenräder. Und bei einem der Motorräder sahen wir sogar eine mit Aluminiumpulver angemalte Sattelstütze aus Holz; außerdem durchlöcherte Lenker, dünn wie Papier. Aber am nächsten Tag, als es zum Start ging, sahen die Motorräder ganz anders aus.“

Der Untergang von Humber hatte wahrscheinlich weniger mit übereifriger Gewichtsreduktion zu tun als mit der allgemeinen Stagnation der britischen Industrie während der späten viktorianischen und edwardischen Epoche. Großbritannien war die Wiege der industriellen Revolution, hatte aber seine Führungsrolle an andere Länder wie Deutschland und die USA verloren, während Frankreich mit seiner Verbrennungsmotor-Technologie davonzog. Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass sowohl Armand Peugeot, als auch Gottlieb Daimler ihr Ingenieursstudium u.a. in Großbritannien absolvierten.

Eine Theorie besagt, dass die neuen Gründer Großbritanniens nicht ausreichend in die Zukunft investierten. Durch ihre bahnbrechenden Vorstöße bei der neuen Technologie reich geworden, setzte die britische Oberschicht ihre jahrhundertealten Traditionen fort, indem sie ihre Söhne an die Universitäten schickten, wo sie die klassischen Fächer lernten: Griechisch und Latein. In Deutschland, den USA und anderen Ländern schaute man derweil nach vorn statt zurück und finanzierte Universitäten, die Wissenschaft und Technologie lehrten.

Es gab noch einen weiteren Grund dafür, dass Großbritannien hinter seine Rivalen vom Kontinent zurückfiel. Rennsport auf öffentlichen Straßen, ob abgesperrt oder nicht, war noch immer verboten und so hatten die britischen Hersteller nur wenige Möglichkeiten ihre Maschinen für längere Zeit unter Volllast zu testen.

Die neuesten Maschinen waren den Radrennbahnen auch längst entwachsen, wo die Motorradrennfahrer inzwischen mit der doppelten Geschwindigkeit wie noch in den 1890er Jahren ihre Runden fuhren. Das war schlecht für die Fahrer und die Zuschauer. „Das Publikum möchte etwas Schnelles sehen“, sagte der britische Fahrer und Fabrikant F.W. Chase. „Es kann nicht sein, dass sie eine Veranstaltung besuchen und ein langsames Rennen sehen.“ Was Großbritannien brauchte, war eine Rennstrecke…

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Eine Meinung zu “SPEED: Charles Jarrott über das erste Motorsport-Jahrzehnt

  1. Michael Berndt sagt:

    Danke für die nette Geste,es passt gut In die heutige Zeit.
    Ich bin gespannt was uns die neue Zeit bringt.

    Gruß michael

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